Endlich war wieder Besuch möglich! Was für ein Glück, erst die Tochter aus Berlin, dann die junge Familie aus Innsbruck im Haus zu haben, das groß gewordene Baby neu kennenzulernen: Mit ihm auf dem Boden zu sitzen und einen Ball hin und her zu rollen, auf den Spielplatz zu pilgern, gemeinsam Pusteblumen zu entdecken, zusammen einen „steilen“ Berg zu erklimmen und rasant die Rutsche herunterzurutschen. Und selbstverständlich das kleine Mädchen sicher aufzufangen, wenn es angesaust kam. Sich mit ihm um die eigene Achse zu drehen. Oder wie ein gefährliches Monster hinter ihm herzulaufen, um es zu faaaaangen …
Wie viel selbstverständlicher Körpereinsatz gerade im Zusammenspiel mit Kindern gebraucht wird, das war mir gar nicht in dem Maß bewusst, bis … ja bis ich mit einem Hochstuhl in Händen eine Treppe heruntergepurzelt bin. Ein Moment der Unaufmerksamkeit – viele Wochen Einschränkungen: das kennen leider viele. Bei mir waren es ein Bruch im Fuß, ein Bänderriss, Hämatome.
„Es hätte schlimmer kommen können, alles wird heilen. Der Bruch ist glatt, und andere haben ganz Anderes. Es ist wirklich nur vorübergehend“: So oder so ähnlich redete ich mir gut zu – und doch! Für mich war es hart, nicht mehr auf das erwartungsvolle kleine Mädchen eingehen zu können. Es machte mich regelrecht traurig, dass ihm mein Trumm-artiger Stiefel etwas unheimlich war. Ich konnte nicht mehr gescheit reagieren und saß, unbeweglich wie ein Ölgötze, mit permanent hochgelegtem Fuß auf dem Sofa. Und wie unangenehm war es für mich, mich im eigenen Haus bedienen zu lassen. Wie schwer konnte ich die Dinge liegen lassen. Wie unzufrieden war ich. Wie schmuddelig und ewig verschwitzt habe ich mich in diesem unförmigen Plastikstiefel, der als Gipsersatz fungierte, gefühlt. Wie schwer war es, freundlich sein zu wollen, und doch Schmerzen zu haben. Abends wollte ich nur noch ins Bett! Und auch wenn mir das Gegenteil signalisiert wurde, so habe ich mich doch ein Stück weit als Last für die gefühlt, die ich ja in dieser Zeit ganz bewusst entlasten wollte.
Und noch etwas: Ich habe gemerkt, wie sehr meine Beweglichkeit, vielleicht auch meine „Geschwindigkeit“, mein bisschen Sportlichkeit, eine gewisse Fitness zu meinem Selbstbild gehören. Das war mir so nicht bewusst. Seit ein paar Jahren springe ich täglich auf einem kleinen Trampolin – unspektakulär. Doch allein die Vorstellung, über viele Wochen hier nicht weiter trainieren zu können, tat mir nicht gut. Klar, es ist vernünftig, sich einigermaßen fit zu halten, aber die Niedergeschlagenheit, die ich erlebt habe, lässt mich doch auch darüber nachdenken, dass ich selbst keinesfalls frei bin vom (oft unbarmherzigen) Ideal der körperlichen Leistungsfähigkeit und des permanenten Leistenkönnens.
Und es gab ja wirklich Gründe für eine gewisse Unzufriedenheit: Denn auch am Schreibtisch fand ich keine Position, die länger als ein paar Minuten passabel gewesen wäre. Alles war anstrengender, die Konzentration fiel schwer. – Mittlerweile sind drei Wochen vergangen, also Halbzeit. Und auch wenn die zunehmende Wärme des Sommers nicht unbedingt den Tragekomfort des Plastikstiefels erhöht: Ich habe jede Menge Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Verständnis erfahren. Der Alltag klappt irgendwie. Ich weiß, dass diese Phase vorübergehen wird. Ich weiß den Wert der Gesundheit jetzt noch viel mehr zu schätzen: Die Wochen mit Einschränkung lassen mich mehr mitfühlen, mich besser einfühlen in diejenigen, die chronisch krank sind, die mit dauerhaften Verzichten und Einengungen leben müssen. – Und ich habe Respekt und Bewunderung für sie – zum Beispiel für meine Mutter, der es gelingt, Kontakt zu ihrer Urenkelin mit ihren Augen, ihrer Stimme, ihrer lebendigen und starken Persönlichkeit aufzunehmen und zu halten.
Ich habe Glück im Unglück gehabt. Und ich denke an all die, die das nicht haben.
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Auweia. Gute Besserung … und, Sportlichkeit hin oder her, die Herkunft des Wortes „Patient“ nicht vergessen!