Muslime feiern Ostern nicht – und trotzdem denke ich heute, am Karsamstag, an den Islam. Das hat damit zu tun, dass ich etwas ganz Neues gelernt habe: Vor kurzem habe ich ein Gespräch moderiert mit Pater Anselm Grün und Professor Ahmad Milad Karimi, Philosoph und Islamwissenschaftler von der Uni Münster. Als Vorbereitung dazu habe ich das Buch der beiden gelesen, „Im Herzen der Spiritualität – Wie sich Christen und Muslime begegnen können“. Das war eine unglaublich bereichernde Lektüre! Ich habe nicht nur gemerkt, dass ich wirklich sehr wenig über den Islam weiß, sondern auch, dass beide Religionen, Christentum und Islam, dieselben Fragen haben: Worauf hoffen wir? Was ist Sinn und Ziel unseres Daseins? Was bestimmt unser Handeln? Eines der interessantesten Dinge, die ich gelernt habe, war für mich die Tatsache, dass Maria im islamischen Glauben eine große Rolle spielt. Dieselbe Maria, die auch für uns Christen eine große Bedeutung hat. Und deshalb erzähle ich heute davon in den SWR1 Anstößen am Karsamstag:
Der Karsamstag heute wird als stiller Tag bezeichnet. Es ist der Tag der Grabesruhe; der Tag der Trauer für diejenigen, die Jesus nahegestanden sind. Auch für Maria, seine Mutter. Sie muss aushalten, was geschehen ist. Sie hat den Tod ihres Sohnes nicht verhindern können. Ich kann mir gut vorstellen: An diesem Tag ist das ganze Leben mit ihrem Sohn noch einmal vor ihren Augen abgelaufen. Von dem Tag an als der Engel ihr verkündet hat: Du wirst ein besonderes Kind zur Welt bringen– bis heute.
Wenn ich an Maria in dieser Situation denke, dann denke ich auch an den Islam. Das mag auf den ersten Blick verwundern, denn: Muslime feiern Ostern nicht. Dem islamischen Glauben nach wird Jesus nicht gekreuzigt und es gibt auch keine Auferstehung. Aber: Es gibt Maria. Dieselbe Maria wie bei den Christen. Und im Islam ist sie eine bedeutende Persönlichkeit. Das zeigt der Koran: Maria ist die einzige Frau, die dort mit Namen erwähnt wird, und das mehr als 30 Mal! Ebenso wie in der Bibel ist Maria die Mutter von Jesus. Im Koran ist sie allerdings alleinerziehend. Die koranische Weihnachtsgeschichte schildert sehr eindringlich, wie verlassen sie sich fühlt und wie verzweifelt sie ist, weil sie mit dem Vorwurf konfrontiert wird: Du hast ein uneheliches Kind geboren. Auch die koranische Maria muss eine Menge aushalten. Deshalb verbindet Maria Christen und Muslime auf eine besondere Weise. Sie ist in beiden Religionen diejenige, die von Gott auserwählt ist – und die seinen Plan annimmt, ohne damit zu hadern.
Der Karsamstag kann deshalb ein Tag sein, an dem sich Christinnen und Musliminnen durch Maria gestärkt fühlen. Zum einen: Weil sie uns Kraft geben kann, unsere persönlichen Karsamstage, also manche Verzweiflung und Ohnmacht im Leben, auszuhalten. Und zum anderen: Weil sie Anstoß und Inspiration sein kann, unsere Rolle als Frauen in Religion und Gesellschaft selbstbewusst zu gestalten.
Der mittelalterliche persische Theologe und Mystiker Al-Ghazali hat Maria mit einem schönen Wort bezeichnet. Er nennt sie „Gottesfreundin“ Das gefällt mir gut und ich bin mir sicher, dass Christinnen und Christen so auch „ihre“ Maria charakterisieren können. Vielleicht trägt dieses Wort – über alle Unterschiede, die es zwischen Christentum und Islam natürlich gibt – hinweg. Der Karsamstag ist ein stiller Tag, an dem Maria für mich besonders in den Blick rückt; Maria, die Gottesfreundin, die Frauen auf der ganzen Welt verbinden kann.
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