Neulich war ich in Stuttgart im Rotlichtviertel. Ich wollte das HoffnungsHaus besuchen, eine Einrichtung des evangelischen Gemeinschaftsverbandes Apis, das Prostituierten einen Rückzugsraum anbietet.
Ich war ein wenig früh dran und schlenderte noch durch die engen Gassen dieses Viertels. Gleich hinter dem Gustav-Siegle-Haus, in dem übrigens 1917 der Frauenbund unserer Diözese gegründet wurde und wo ich als Kind in die Musikschule ging, beginnen die Nachtclubs und Bordelle. Neben den Türen sind in Schaukästen Fotos von Frauen mit obszönen Gesten zu sehen. An den Fenstern hängen alte Vorhänge, hinter denen dumpfes Licht brennt. Die Häuser sind alt und stehen eng an eng.
Obwohl es Nachmittag ist, verschwinden einige Männer hinter den Türen dieser Clubs. Manche mit gesenktem Blick, manche breitbeinig-selbstbewusst. Ein Mann tritt heraus und sortiert gerade noch seine Kleidung. Ich muss den Blick abwenden und beschließe, endlich mit festem Schritt auf die Tür des HoffnungsHauses zuzugehen, das sich inmitten dieser Szenerie befindet.
Im Haus empfängt mich eine warme Caféhaus-Atmosphäre. Die blankgeputzten Tische und die Theke wirken auf mich sehr einladend. Mich begrüßt die Leiterin des HoffnungsHauses, die mir sofort sympathisch ist. Während wir Kaffee trinken, erzählt sie mir von ihrer Arbeit und den Frauen, die hierher kommen.
Viele sind junge Bulgarinnen, die unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt wurden. Sie haben sich bei ihren Menschenhändlern verschuldet, stecken dadurch in großer Abhängigkeit fest, viele von ihnen illegal und ohne Krankenversicherung.
Was diese Frauen teilweise von den Freiern ertragen müssen, wie viel Gewalt sie erleben, ist unaussprechlich. Viele betäuben sich mit Alkohol und Drogen. Entrinnen können sie nicht. Denn das große Geld in diesem Gewerbe machen vor allem Männer: Immobilienbesitzer, Zwischenvermieter, Zuhälter. Das Geld, das bei den Frauen ankommt, reicht kaum zum Leben. Manche wohnen in dem Zimmer, in dem sie ihre Freier bedienen. Die Leiterin des HoffnungsHauses hat sogar erlebt, dass Prostituierte ein Kind bekommen und am nächsten Tag wieder auf dem Straßenstrich stehen, weil sie sonst ihre Miete nicht bezahlen können.
Mir wird schwummrig, wenn ich so etwas höre. Ich denke an die Geburt meines Sohnes und meine Verfassung danach. Ich bin sprachlos, was manche Frauen ertragen müssen. Und ich merke, dass es Eines ist, in einer Zeitung einen Bericht über all diese Vorgänge zu lesen, und etwas ganz Anderes, hier zu sitzen und den Ort vor Augen zu haben, wo all das ganz real geschieht. Mitten in Deutschland. Mitten in der schwäbisch-braven Stadt Stuttgart, die eine Hochburg der Prostitution ist. Das kann ich gar nicht fassen. Und ich bin wütend, dass ein Land wie das unsere es nicht fertigbringt, derartigen Menschenhandel zu unterbinden.
Ich frage die Leiterin des HoffnungsHauses, was für Männer in ein Bordell gehen. Es sind Männer aus allen Schichten, sagt sie mir. Männer in feinen Anzügen mit Aktenkoffer genauso wie Handwerker und Arbeiter, Abiturienten nach bestandener Prüfung oder Junggesellen bei der Party vor der Hochzeit. Ich überlege plötzlich, wer aus meinem Umfeld dabei sein könnte. Niemand hätte je darüber geredet. Aber allein die Zahlen sprechen dafür, dass auch ich Männer kenne, die sich Frauen als Sexobjekte kaufen. Ich muss zugeben, dass ich darüber bisher noch nie nachgedacht habe.
Beim Frauenkreuzweg an Karfreitag in Stuttgart werden wir die Frauen, die in der Prostitution ausgebeutet werden, zum Thema machen. Ihre durchkreuzten Lebenswege. Ihre schwierigen Lebensbedingungen, ihre Ausweglosigkeit, von der wir sonst kaum Notiz nehmen. Die Leiterin des HoffnungsHauses wird uns an einer Station darüber erzählen. Und ich bin mir sicher, dass es uns unter die Haut gehen wird.
Link zum Ökumenischen Frauenkreuzweg in Stuttgart:
https://www.kdfb-drs.de/start/aktionen-detailansicht/article/durchkreuzte-wege-oekumenischer-frauenkreuzweg-an-karfreitag/
Weitere Beiträge
Synodaler Ausschuss: Fortschritte, Herausforderungen und Perspektiven
Von Gast-Autorinnen| 19 Mai 2025|0 Kommentare
Dr. Maria Flachsbarth schreibt: Am 9. und 10. Mai trafen sich die Mitglieder des Synodalen Ausschusses zum vierten Mal, dieses Mal in Magdeburg. Ortsbischof Feige hieß uns willkommen in seinem Bistum, in dem Christ:innen [...]
Endlich drei Rentenpunkte für alle Mütter!
Von Dr. Gerlinde Wosgien| 19 März 2025|1 Kommentar
Vermutlich haben Sie es auch in den Nachrichten mitbekommen. Im Sondierungspapier von Union und SPD ist die Erweiterung der Mütterrente vorgesehen: „Wir vollenden die Mütterrente mit drei Rentenpunkten für alle - unabhängig vom Geburtsjahr der [...]
Forum Gleichstellung: Der geheime Booster für Regionen
Von Gast-Autorinnen| 11 März 2025|0 Kommentare
Edith Werner schreibt: Beim Zukunftsforum Ländliche Entwicklung 2025 in Berlin, veranstaltet von der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen sowie den Landfrauen des KDFB durfte ich als Bildungswerkvorsitzende der Diözese Würzburg und kommunale Gleichstellungsbeauftragte teilnehmen. Bei [...]
Eine Stimme für Menschlichkeit
Von Claudia Schmidt| 27 Januar 2025|1 Kommentar
Ein Freund hat mir ein Video geschickt. Es zeigt die Predigt der Bischöfin Mariann Budde im Amtseinführungsgottesdienst von Donald Trump. Ernst, besonnen, ruhig und wahrhaftig spricht diese mutige Frau den Präsidenten direkt an und sagt: [...]
Kartoffeln schälen und vieles mehr
Von Dr. Gerlinde Wosgien| 27 Januar 2025|0 Kommentare
Kürzlich habe ich an einem eintägigen Online-Seminar der Akademie der Bayerischen Presse teilgenommen. Wir waren eine überschaubare Gruppe von drei Teilnehmerinnen. In der Vorstellungsrunde erzählte jede von uns, in welchem Bereich sie tätig ist und [...]
Synodaler Ausschuss: Von besonderen Gästen und einem modernen Marienbild
Von Gast-Autorinnen| 15 Januar 2025|1 Kommentar
Dr. Maria Flachsbarth schreibt: Am Freitag und Samstag vor dem 3. Advent hat sich der Synodale Ausschuss in Wiesbaden Naurod zu seiner dritten Sitzung getroffen – für den Frauenbund bin ich als Delegierte dabei. [...]