Im Dezember wurde es auch im Rheinland klirrend kalt. Der erste kalte Tag war strahlend hell und sonnendurchflutet, der Tag unserer Weihnachtsfeier.
Nach herzerwärmend schönen Stunden standen wir schließlich am späten Abend am Bahnhof, bereit für die Heimfahrt – warm angezogen – wie wir meinten. Trotzdem griff die ungewohnte Kälte in Windeseile nach uns. Nicht schlimm, gleich würde ja der Zug kommen und Licht und Wärme würden uns aufnehmen. Doch die Gleise blieben dunkel, der Zug kam nicht. Über eine lange Stunde nicht. Eine Stunde in der anfangs noch hoffnungsfrohen Erwartung, dass er jeden Moment einfahren würde. Deshalb wagten wir uns auch nicht ins Innere des kleinen Bahnhofs, wir wollten die Heimfahrt um keinen Preis verpassen! Doch auch in der Stunde danach kam unser Zug nicht. Wir hatten keinerlei Informationen und spürten, wie unsere Nacken schmerzhaft verspannten, Hände und Füße fast gefühllos wurden, trotz unserer hilflosen Hüpfer, Gymnastikeinlagen, unseres Händeklatschens und der schnellen Schritte. Die Kälte war stärker, sie war unerbittlich. Wir hatten es vergessen.
Warum erzähle ich das? Ich bin ja schließlich gut angekommen, zuhause. In meinem warmen Zuhause. Ich hatte den Luxus, nach der Kälte heiß baden oder duschen zu können. Ich durfte anschließend ins Bett gehen, umhüllt von Wärme, ohne Bedrohung, ohne Angst und Sorge. – Im Grunde wäre diese Episode nicht der Rede wert, eben weil es nur eine Episode war. Die Wartezeit in Unklarheit und Eiseskälte hat mich aber am eigenen Leib spüren lassen, was nicht weit von hier in völlig anderer, wirklich dramatischer Weise Gesundheit und Leben vieler Menschen gefährdet. Ich wage mir die Kälte, die Ungewissheit, die Angst kaum vorzustellen. Die Zeit am kalten Bahnsteig hat mir den Hauch einer Ahnung gegeben, einen Eiseshauch, wie es sein muss für so viele in der Ukraine und an vielen anderen Orten dieser Erde, wo Menschen eisiger Kälte, Bedrohung, Gewalt und Not ausgesetzt sind.
Ich habe große Dankbarkeit gespürt für das, was mich umgibt. Diese Dankbarkeit weicht nicht. Sie begleitet mich ins neue Jahr.
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Liebe Frau Sandherr-Klemp, vielen Dank für Ihren Bericht über den Wechsel von der Kälte in die Wärme und die anschließende Dankbarkeit. Auch chronische seelische Erkrankung kann eine Ursache sein, um Zielscheibe von sozialer Kälte und Ausgrenzung zu werden. Das findet in Deutschland ganz genauso statt, wie außerhalb von Deutschland. Es trifft Deutsche und Migranten gleichermaßen. Ich habe leider in 4 verschiedenen deutschen Nervenkliniken ausgesprochen brutale und kalte Erfahrungen gemacht, war 1988 im Alter von 25 Jahren auch mal 3 1/2 Monate obdachlos und auf der Flucht vor einer Zwangseinweisung in die Brutalo-Psychiatrie der damaligen Zeit. Seit 19 Jahre habe ich gemeinsam mit meinem Mann ein schönes, warmes Zuhause, für das ich sehr dankbar bin. Dass dies nicht selbstverständlich ist, weiß ich aus eigener Erfahrung mit Obdachlosigkeit und als Gewaltopfer. Ich bin Deutsche, das betone ich deswegen, weil auch deutsche Frauen, nicht nur Migrantinnen, Gewalt-Opfer sind, und zwar IN Deutschland, nicht nur außerhalb. Es dauert sehr lange, bis solche Wunden heilen. Der Katholische Glaube hilft mir dabei sehr, ist eigentlich das Wichtigste für mich seit Juni 2021, meinem Eintritt in die Katholische Kirche.
Mit freundlichen Grüßen, Kerstin Knopf, Mühlschlag bei Kallmünz
Liebe Frau Knopf,
haben Sie vielen Dank für Ihren Kommentar, mit dem Sie die Erfahrung sozialer Kälte, Ausgrenzung und Leid von Menschen mit chronischen seelischen Erkrankungen ins Wort und hier in den Blog bringen. Gerade diese oftmals stillen Leiden (und Leidenden) drohen aus dem Blick zu geraten. Was für ein Glück, was für ein Segen – und was für eine Leistung – dass Ihr eigener Lebensweg, den Sie skizzieren, Sie ins Gute und „Warme“ geführt hat!
Herzlich grüßt Sie Dorothee Sandherr-Klemp